Sie erzählen Geschichten und bringen unsere Erinnerungen zurück. Düfte – denn egal, ob die von frisch gebackenem Streuselkuchen der Oma oder die von Zitronenlimonade aus Frankreich, Gerüche verbindet man oft mit Orten, Menschen und oft auch mit ganz besonderen Bildern im Kopf. Ein Bild oder eine Melodie, so etwas verblasst dann doch mit der Zeit, aber ein ganz bestimmter Geruch, der ist oftmals über Jahre in den Kopf gebrannt.
Durch ihre eigene erste Erfahrung mit einem Nischenparfüm aus einer lokalen Manufaktur in Grasse tauschte Romy Kowalewski in die Welt der Düfte ein. Die 32-jährige wollte andersartige oder sogar einzigartige Düfte kreieren und gründete 2016 das in Barcelona ansässige Label 27 87 . Bei 27 87 findet man ultra moderne Kreationen, die das Hier und Jetzt widerspiegeln. Die neuen Kompositionen sollen ganz eigene Erinnerungen schaffen, anstatt in der Vergangenheit zu schwelgen. Ohne Erinnerung und Vergangenheit kann der Träger so seine eigenen Geschichten schreiben und neue, ganz persönliche Erlebnisse initiieren. Das Konzept mit einzigartigen Duftkompositionen, feinsten Inhaltsstoffen, exklusivem Design und den besonderen Namen geht absolut auf. „hashtag“, „wandervogel“ oder „elixier de bombe“, alle sechs Düfte spiegeln die traditionelle Handwerkskunst der Parfümherstellung im 21. Jahrhundert wider.
Liebe Romy, du hast das Parfum Label 27 87 gegründet. Wie bist du in der Welt der Nischendüfte gelandet und was machen diese Düfte für dich so besonders?
Ein Duft ist die delikateste Art, seiner Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. Er sagt viel darüber aus, wer man ist, wie man sich fühlt und wie man von anderen wahrgenommen werden möchte. Schon früh habe ich viel Wert auf meine olfaktive Erscheinung gelegt und schnell meine Duftvorlieben in der selektiven Nischenwelt gefunden, wo das Parfümhandwerk noch als Kunst gesehen wird und nicht zur Kommerzialisierung einer Marke.
Für große Labels kommt es weniger darauf an, was für ein Parfüm man trägt, sondern eher, dass man ein Teil ihrer Marke trägt. Daher geht das Hauptaugenmerk auf eine aufwendige Verpackung und die Vermarktung statt in den eigentlichen „Saft“. In der Qualität der Ingredienzien und der Konzentration der Parfümöle spiegelt sich dies wider. Die Düfte ähneln sich teilweise, weil sie Trends folgen, wirken oft fad, ich sage immer „flach“, und verfliegen schnell. Zusätzlich sollten sie den Geschmack möglichst vieler Menschen ansprechen. Daher werden viele Marktforschungen betrieben und Statistiken erstellt, um den gemeinsamen Nenner aller Geschmäcker zu finden. Leider verlieren sie dadurch oft an Charakter und Individualität. Natürlich gibt es auch die Klassiker, die es schon seit jeher gibt und welche ihre Qualität beibehalten haben, aber ganz ehrlich, wer möchte denn das gleiche Parfüm wie die Mutti oder der Opa tragen?
Mehr und mehr Parfümgenießer steigen daher auf sogenannte „Nischendüfte“ um, die, wie schon erwähnt, auf einzigartige Duftkompositionen, feinste Inhaltsstoffen, exklusives Design und auf ein sorgfältig ausgewähltes Netzwerk von Verkaufsstellen setzen.
Mit 13 hatte ich daher mein erstes Parfüm aus einer lokalen Manufaktur in Grasse. Es hielt den ganzen Tag auf meiner Haut und ich konnte mir sicher sein, dass niemand den Duft mit einer anderen Person assoziiert. Seitdem beschäftige ich mich mit der Duftwelt.
Simple Clean und anders finde ich persönlich die Düfte und Flacons von 27 87. Was ist das Rezept & Konzept der Marke?
Vielen lieben Dank. In der Tat ist es mir wichtig, andersartige oder sogar einzigartige Düfte zu kreieren, die neu sind und mit denen man seine ganz eigenen Erinnerungen schaffen kann. Unser Geruchssinn ist direkt mit unseren Emotionen und Erinnerungen verknüpft, und daher ist es mir sehr wichtig, Düfte zu kreieren, die noch keine „Verknüpfung“ zu einer bestimmten Erinnerung haben. Nur so kann der Duft zu 100% dein eigener sein, da du den Geruch vorher noch nicht kanntest, keine Assoziation mit ihm hattest und mit deinen eigenen Erinnerungen verknüpfen kannst.
Dieses Konzept spiegelt sich auch im Design wider. Die Flasche ist schlicht und in weiß gehalten, wie ein leeres Blatt, was man selbst beschreibt, und die zudem das Wesentliche, den Duft, zur Geltung bringt.
Die Verpackungen drücken die Inspiration, Emotion oder die Inhaltsstoffe von jedem Duft aus. Da jeder 27 87 Duft einzigartig ist, ist auch jeder Verpackung individuell dekoriert und dazu intendiert, wieder benutzt zu werden.
Wie unterscheiden sich die Düfte von 27 87 von denen anderer Marken?
27 87 sucht die Nähe zum Duftträger. Statt meine persönlichen Erinnerungen, bestimmte Orte oder historische Geschehnisse, interpretieren 27 87 Düfte die Gegenwart und kreieren mit dem Träger den Duft des Hier und Jetzt. Sie geben nichts vor, sondern laden zum individuellen Experimentieren mit Duft ein. Ohne Erinnerung und Vergangenheit kann der Träger so seine eigenen Geschichten schreiben und neue, ganz persönliche Erlebnisse initiieren.
Trotz des modernen Konzepts bleiben wir den Werten der traditionellen Parfumkunst treu. Wir investieren unsere Ressourcen in die Qualität unserer Ingredienzen, produzieren lokal in Barcelona und suchen nicht den gemeinsamen Geschmacksnenner der Masse.
Die Namen der Dürfe #hashtag, elixir de bombe und wandervogel sind besonders, wie bist du auf die Namen gekommen? Und was war für dich Inspirationsquelle für die Kreation dieser drei Düfte?
Mit meinen Konzepten fange ich einen aktuellen Zeitgeist ein, der mich inspiriert oder fasziniert.
#hashtag ist die olfaktorische Interpretation unseres digitalen Zeitgeistes, die es so vorher noch nicht gab. Es ist super spannend, für eine Marke komplett neue Konzepte zu interpretieren, da diese noch nicht fest verankert sind und Freiraum geben für Kreativität.
Elixir de bombe ist definitiv ein Duft für besondere Anlässe und basiert auf diesem Moment, in dem man ein Statement abgeben möchte. Der Duft entstand genau aus einem solchen Anlass heraus.
Bei wandervogel geht es um die Lust des Reisens, das Fernweh und die ständige Sehnsucht unserer heutigen Generation, etwas Neues zu entdecken und zu erleben.
Ich weiß, eine Mutter hat nie ein Lieblingskind, hast du einen Lieblingsduft aus deiner eigenen Kollektion?
Ich habe keinen „Lieblingsduft“, da ich ein absoluter Stimmungsmensch bin. Ich trage Düfte je nach Gefühl oder Anlass. Im Alltag trage ich #hashtag oder genetic bliss, oft mische ich die beiden auch gerne. Abends zum Dinner liebe ich mein sónar. Wenn ich am Abend ein Statement setzen möchte, dann mit elixir de bombe und wenn es sehr extravagant sein soll, sprühe ich genetic bliss drüber. An freien Tagen oder wenn mir einfach nach ein wenig guter Laune ist, nehme ich wandervogel. Hamaca ist mein Duft für Wohlfühlmomente, wenn mir nach etwas Kuscheligem ist. Sonntags zum Beispiel habe ich vermehrt das Bedürfnis nach Geborgenheit.
Ich persönlich finde es unheimlich schwer, ein neuen Parfum zu finden und trage seit Jahren dasselbe. Wieso ist es so schwer, ein neues Parfum zu finden, das einem gefällt?
Das ist eine sehr interessante Frage.
Meiner Meinung nach ist das eine sehr individuelle Wahrnehmung. Ich denke, es hängt viel davon ab, ob man eine Person ist, die die Kontinuität oder den Wandel bevorzugt. Also eine „Typ“ Sache.
Bei der Kleidung oder anderen materiellen Gegenständen gibt es mehr den Einfluss von außen, also der Gesellschaft, der Mode etc. Da ist es nicht so offensichtlich. Es zeigt einmal mehr, wie emotional ein Duft auf uns wirkt. Je mehr man emotional involviert ist, desto schwieriger fällt es einem „loszulassen“. Und wenn man von Natur aus eher dazu tendiert, Gewohntem treu zu bleiben, dann fällt es auch schwer, sich von einem Duft zu trennen, beziehungsweise einen neuen Duft zu finden. Denn erst mit dem nötigen „Abstand“, ist man bereit, sich auf etwas Neues einzulassen. Ich weiß, das hört sich jetzt sehr nach Paartherapie an.
Die Duftauswahl ist also eine emotionale. Viele haben das gewohnte Parfum im Kopf, wenn sie neue Parfums riechen. Da Parfums vielseitig sind, ist man dann nicht offen genug, sich auf den neuen Duft einzulassen, und vergleicht. Das Parfum von „immer“ kennt man sehr gut und wenn man dann einen ähnlichen Duft aus der gleichen Duftfamilie probiert, riecht man sofort raus, was bei dem neuen Duft anderes ist und empfindet dies eher als „abstoßend“. Alle Gerüche, die ungewohnt sind, lehnen wir zuerst ab. Das ist ein natürlicher Schutzmechanismus unseres Geruchssinns. Je länger man also einem Parfum treu bleibt, desto schwieriger fällt es, neue bzw. fremde Gerüche zuzulassen und ein neues Parfum zu finden.
Mein Rat: einfach mal ein Parfum probieren, das nicht aus der gleichen Duftfamilie stammt wie das, was man gewohnt ist, sondern eine komplett andere Richtung wählen. Damit fällt der direkte Vergleich aus und beide Parfums stehen nicht in direkter „Konkurrenz“ und können für verschiedene Anlässe oder Stimmungen getragen werden.
Auch ratsam ist es, ein potenzielles neues Parfum vor einem Anlass (Meeting, Abend mit Freunden, Reise oder was auch immer gerade möglich ist) auf die Haut zu sprühen. Somit lernt man den Duft in „Aktion“ kennen und kreiert unterbewusst schon die ersten Erinnerungen mit dem Parfum. Wenn man das Parfum dann paar Tage später wieder riecht, erinnert man sich automatisch und direkt daran, wie man sich beim Anlass mit dem Parfum gefühlt hat. Dann fällt die Entscheidung leichter.
Inhaltsstoffe aus der Natur sind ein großes Thema in der Kosmetikindustrie? Wie sieht es bei 27 87 aus? Ist es ein Thema?
Dieses Thema ist sehr präsent und auch bei Parfums wird oft danach gefragt, aber man kann dieses Thema in der Duftwelt nicht mit anderen Industrien vergleichen. Parfums müssen keinen „Nutzen“ erfüllen, also nicht heilen, geschmeidiger machen oder Sonstiges. Sie sollten angenehm riechen, aber das ist ja subjektiv.
Um einen Tropfen Duftöl zu gewinnen, benötigt es sehr viel Rohmaterial. Was nicht immer zu Gunsten unserer Umwelt ist. Jeder Duftstoff besteht aus verschiedenen Molekülen. Die synthetischen Duftstoffe sind nichts anderes als im Labor ausgesuchte Moleküle, die aus natürlichen Duftstoffen extrahiert werden. Man kann also sagen, dass natürliche Ingredienzen auf eine Art synthetisch sind oder vice versa. Der Ursprung ist immer der Gleiche.
27 87 Düfte sind aus beiden, natürlichen und synthetischen Ingredienzen erstellt. Die natürlichen Ingredienzen, meist bestehend aus vielen Molekülen, geben dem Duft tiefe und Reichhaltigkeit. Die synthetischen Ingredienzen, meist wenige Moleküle, verleihen dem Duft das gewisse Extra, den Wiedererkennungswert und Haltbarkeit.
Parfums, die aus reinen natürlichen Ingredienzien bestehen, riechen oft sehr traditionell. Ich assoziiere sie mit vergangen Zeiten, wie den Hofball von Luis der IX und das kam für mich, für 27 87, nicht in Frage.
Gerüche sind etwas Magisches und bestimmt auch nicht so einfach zu kreieren, oder? Wie lange dauert es im Schnitt, ein neues Parfüm zu entwickeln?
Ganz unterschiedlich. Für manche Parfums habe ich nur ein paar Monate gebraucht und für andere wiederum Jahre. Es kommt ganz auf den Duft an. Da ich keine Statistiken mit Parfumtestern erstelle, ist die Entscheidung, wann ein Duft fertig ist mein emotionales Empfinden. Wann ist ein Parfum überhaupt fertig? Also eine reine Gefühlssache.
Sag mal, welche Kosmetik findet man bei dir sonst so, neben den 27 87 Düften?
Gesichtsreiniger, Gesichtsöl, Sonnenschutzcreme und wenig mehr.
Und was riecht eigentlich gut?
Da hat jeder seine individuellen Vorlieben, und es hängt viel davon ab, in welcher Kultur, zu welcher Zeit und an welchen Ort man aufgewachsen ist. Unser Geruchsgeschmack wird auch schon früh in der Kindheit geprägt. Es ist für mich immer wieder spannend zu hören, was Menschen mit bestimmten Gerüchen verbinden. Ein und derselbe Duft kann auf zwei Menschen völlig anders wirken, je nachdem was sie damit verbinden. Ich finde das wahnsinnig faszinierend!
Danke für das schöne Interview liebe Romy, ich freue mich, wenn wandervogel ein neues Kapitel in meinem leben bespielt.